Purgatorio – Canto 30

La Divina Commedia Purgatorio Canto XXX Das Lied der Beatrice Zeit: Donnerstag, 30. März 1301 (Mittwoch, 13. April 1300): Morgen Ort: Irdisches Paradies, am Fluss Lete Personen: Dante, Stazio, Matelda, Beatrice © 2021 Dr. M. Junker: Fonetik, Metrik & Akzente farbig, geschützt d. Namirial SpA © 1994 Le Lettere: Kritische Textausgabe der Divina Commedia (Giorgio Petrocchi) Deutsch von Karl Vossler: 1942/1945 (Atlantis)/1960 (Bertelsmann Lesering)

1 Quando il settentrï n del primo ci lo, 1 6 8 che né occa o mai s ppe né rto 2 4 (6) 7 9 3 né d’altra n bbia che di c lpa v lo, 1 2 4 8 e che fac va lì ciascuno acc rto 4 6 8 di suo dov r, c me ’l più basso face (2) 4 (5) 7 8 6 qual tem n gira per venire a p rto, (1) 3 4 8 f rmo s’affisse: la g nte verace, 1 4 7 venuta prima tra ’l grif ne ed sso, 2 4 8 9 al carro v lse sé c me a sua pace; 2 4 6 7/9 e un di l ro, qua i da ci l m sso, 2 4 6 9 ‘V n , sp ns , d L b n ’ cantando 1 3 6 12 gridò tr! v"lte,#e tutti li$altri%appr&sso. 2 4 6 8 Quali'i be(ati)al novissimo bando 1 4 7 surger*n pr+sti,ognun di sua cav-rna, 3 4 6 (8) 15 la revestita v.ce/allelu0iando, 4 6 cot1li2in su la divina bast3rna 2 7 si levar c4nto,5 d v c m t nt s n s, 3 4 6 8 18 min6stri7e messagg8r di vita9ett:rna. 2 6 8 Tutti dic;an: ‘B n d ct s qu v n s!’, 1 4 7 e fi<r gittando=e di s>pra?e dint@rno, 2 4 7 21 ‘M n bus, Ah, d te l l pl n s!’. 1 4 5 7 Io vidi già nel cominciar del giBrno (1) 2 4 8 la parteCorïental tutta roData, 2 6 7 24 e l’altro ciEl di bFl serGnoHaddIrno; 2 4 6 8 e la faccia del sJl nascereKombrata, 3 6 7 sì che per temperanza di vapLri 1 6 27 l’Mcchio la sostenNa lunga fïata: 1 6 7

2 Als dieser Siebenstern vom höchsten Himmel, der weder Untergang noch Anfang kennt, 3 und den kein Nebel trübt, nur unsre Sünde, der jedem droben seine Pflichten weist, so wie der untre Siebenstern den Schiffern 6 am Steuer hilft den Weg zum Hafen finden; als dieser hielt, kehrten die Wahrheitsfreunde, die hinter ihm und vor dem Greifen wandeln, 9 zum Wagen als zu ihrem Frieden sich. Einer von ihnen, wie bestellt vorn Himmel, dreimal »komm meine Braut vom Libanon!« 12 sang er den Ruf, den alle wiederholten. Wie einst die Seligen am Jüngsten Tag behende alle aus den Gräbern steigend 15 mit frisch gestimmten Kehlen jubeln werden, so hoben bei dem Ruf des greisen Sängers sich aus dem Gotteswagen hundert Diener 18 und Boten ewgen Lebens in die Höhe und sprachen all: »Gelobt sei, der da kommt!« sodann: »Gebt Lilien aus vollen Händen!« 21 mit Blumen alles ringsum überschüttend. Ich sah schon oft am frühen Tag den Himmel im ganzen Osten rosenfarbig werden 24 und alles übrige in heitrer Klarheit; umschattet ging die Sonnenscheibe auf, und dank dem Dunst, der ihre Strahlen dämpfte, 27 ertrug das Auge ihren Anblick lang –

3 coOì dPntroQuna nuvola di fiRri 2 3 6 che da le maniSangTliche saliva 4 6 30 e ricadUvaVin giù dWntroXe di fYri, 4 6 7 sZvra candido v[l cinta d’uliva 1 3 6 7 d\nna m’apparve, s]tto v^rde manto 1 4 6 8 33 vestita di col_r di fiamma viva. 2 6 8 E lo spirito mio, che già cotanto 3 6 8 t`mpoabra stato ch’a la sua precdnza 1 4 8 36 non era di stupfr, tremando,gaffranto, 2 6 8 sanza de lihicchijavkr più conosclnza, 1 4 6 7 per occulta virtù che da lmi mnsse, 3 6 9 39 d’anticooampr sentì la gran potqnza. 2 4 6 8 Trsto che ne la vista mi percssse 1 6 l’alta virtù che già m’avta trafitto 1 4 6 (8) 42 prima ch’io fuur di püerizia fvsse, 1 3 4 8 vwlsimixa la sinistra col respitto 1 6 col qualeyil fantolin czrre{a la mamma 2 6 7 45 quando|ha pa}ura~o quando€lliè‚afflitto, 1 4 6 7 per dƒcere„a Virgilio: ‘M n che dramma 2 6 8 di sangue m’è rima†o che non tr‡mi: 2 6 48 conˆsco‰i sŠgni de l’antica fiamma’. 2 4 8 Ma Virgilio n’av‹a lasciati scŒmi 3 6 8 di sé, Virgilio dolcissimo patre, 2 4 7 51 Virgilioa cui per mia salute diŽ’mi; 2 4 6 8 né quantunque perdo l’antica matre, 1 3 6 8 valsea le gu‘nce n’tte di rugiada 1 4 6 54 che, lagrimando, non tornasser atre. 1 4 8

4 und so in einem Wolkenspiel von Blumen, das aus der Engel Händen sich erhob 30 und nah und ferne niederregnete, bekränzt mit Ölzweig auf dem weißen Schleier, erschien mir eine Frau in grünem Mantel 33 und feuerfarbenem Gewand darunter. War doch mein Lebensgeist so lange schon nicht mehr von ihrer Gegenwart erfaßt, 36 nicht staunend mehr von ihr durchschüttert worden – doch ohne daß er sehend sie erkannte, nur durch geheime Kraft, die von ihr ausging, 39 verspürt er alter Liebe Urgewalt. Sobald ins Auge mir die hohe Kraft einbrach, die einst mich ganz durchdrungen hatte 42 (im Knabenalter stand ich damals noch), da kehrt ich mich voll Scheu nach meiner Linken, so wie das Kindlein zu der Mutter läuft, 45 wenn es sich fürchtet oder Kummer hat, zu klagen dem Vergil: »Kein Tropfen Blut ist mir geblieben, der nicht bebt, das sind – 48 ich kenne sie – des alten Fiebers Zeichen.« Vergilius aber hatte uns verlassen, Vergil, mein Vater, nicht mehr da, Vergil, 51 dem ich zur Rettung mich doch anvertraut! Da half auch nicht, was Eva uns verscherzte, das Paradies, um mir vor bittern Tränen 54 die taugewaschnen Wangen zu bewahren.

5 «Dante, perché Virgilio se ne vada, 1 4 6 non pianger anco, non piangere“anc”ra; (1) 2 4 (6) 7 57 ché pianger ti conv•n per altra spada». 2 6 8 Qua–i—ammiraglio che˜in p™ppaše›in prœra (1) 4 7 vineža vedŸr la g nte che ministra 1 4 6 60 per li¡altri l¢gni,£e¤a b¥n far l’inc¦ra; 2 4 7 8 in su la sp§nda del carro sinistra, 4 7 quando mi v¨lsi©al suªn del n«me mio, 1 4 6 8 63 che di necessità qui si registra, 6 7 vidi la d¬nna che pria m’appario 1 4 7 velata s tto l’ang®lica f¯sta, 2 4 7 66 drizzar li°±cchi v²r’ me di qua dal rio. 2 3 6 8 Tutto che ’l v³l che le scend´a di tµsta, 1 4 8 cerchiato de le fr¶nde di Min·rva, 2 6 69 non la lasciasse par¸r manif¹sta, (1) 4 7 regalmºnte ne l’atto»anc¼r prot½rva 3 6 8 continüò c¾me colui che dice 4 (5) 8 72 e ’l più caldo parlar di¿tro reÀÁrva: 3 6 7 «Guardaci bÂn! BÃn sÄn, bÅn sÆn Beatrice. 1 4 5 6 7 8 CÇme degnasti d’accÈdereÉal mÊnte? (1) 4 7 75 non sapËi tu che quiÌè l’uÍm felice?». (1) 3 4 6 8 LiÎÏcchi mi cÐdder giù nel chiaro fÑnte; 1 4 6 8 ma veggÒndomiÓin Ôsso,Õi trassiÖa l’×rba, 3 6 8 78 tanta vergØgna mi gravò la frÙnte. 1 4 8 CoÚì la madreÛal figlio par supÜrba, 2 4 6 8 cÝm’ Þlla parveßa me; perché d’amaro 2 4 6 8 81 sànteáil sapâr de la pietadeãacärba. 1 4 8

6 »Du sollst nicht weinen, Dante, weil Vergil hinweggegangen, weine jetzt noch nicht; 57 wirst über andre Wunden weinen müssen.« So wie der Admiral vom Heck, vom Bug aus die Mannschaft der ihm anvertrauten Schiffe 60 besichtigt und zum rechten Dienst ermuntert, erschien mir auf dem linken Rand des Wagens, als ich bei meinem Namen (den ich hier 63 notwendig schreiben muß) gerufen, dorthin mich kehrt', dieselbe Frau, die ich noch eben verhüllt im Blumenfest der Engel sah; 66 vom andern Ufer blickte sie auf mich. Zwar ließ der Schleier, der vom Haupt ihr wallte und den Minervas Friedenszweig umspannte, 69 noch immer nicht ihr offnes Bild erblicken; jedoch auf königliche Art gebietend fuhr sie in strenger Mahnung fort und sparte 72 nach Redners Kunst das Stärkste für den Schluß. »Schau mich nur an, ich bin's, bin Beatrice. Wie kommt's, daß du zum Berge dich bemühtest? 75 Wußtest du nicht, daß man hier glücklich ist?« Mir sank der Blick hinab aufs klare Wasser: sah da mein Spiegelbild, schaut' weg ins Gras, 78 von Schamgefühl bedrückt, die Stirne senkend. Wie einem Sohn, der seine Mutter gar für hart hält, so erschien sie mir, denn bitter 81 schmeckt herber Eifer liebevoller Sorge.

7 ålla si tacque;æe liçangeli cantaro 1 4 6 di sùbitoè‘ n t , D!m"n#, sp$r%v&’; 2 5 6 84 maéêltre ‘p'd(s m)*s’ non passaro. 2 4 6 8 Sì cëme nìve tra le vive travi 1/2 4 8 per lo dísso d’Italia si congîla, 3 6 87 soffiataïe strðtta da li vñnti schiavi, 2 4 8 pòi, liquefatta,óin sé stôssa trapõla, 1 4 (6) 7 pur che la törra che p÷rdeøùmbra spiri, 1 4 7 8 90 sì che par fúco fûnder la candüla; 1 3 4 6 coýì fui sanza lagrimeþe sospiri 2 3 4 6 anzi ’l cantar di qu i che n tan s mpre 1 4 6 8 93 di tro a le n te de li ett rni giri; 1 4 8 ma p i che ’nt i ne le d lci t mpre 2 4 8 l r compartire a me, par che se d tto 1 4 6 7 96 av sser: ‘D nna, perché sì lo st mpre?’, 2 4 7 (8) lo g l che m’ ra int rno al c r ristr tto, 2 (4) 6 8 spirito e acqua f ssi, e con ang scia 1 4 6 99 de la b cca!e de li"#cchi$uscì del p%tto. 3 6 8 &lla, pur f'rma(in su la d)tta c*scia 1 3 4 8 del carro stando,+a le sustanze pie 2 4 8 102 v,lse le sue par-le co.ì p/scia: 1 (4) 6 9 «V0i vigilate ne l’ett1rno die, 1 4 8 sì che n2tte né s3nno4a v5i non fura (1) 3 (5) 6 8 105 passo che faccia6il s7col per sue vie; 1 4 6 8nde la mia risp9sta:è con più cura 1 6 (8) 9 che m’int;nda colui che di là piagne, 3 6 9 108 perché sia c<lpa=e du>l d’una mi?ura. 2 (3) 4 6

8 Sie schwieg. Die Engel stimmten plötzlich ein und psalmodierten: »Herr, ich trau auf dich!« 84 Doch sangen sie nur bis zum neunten Vers. Wie Schnee im Waldgebirg des Apennin zu Eis verharscht, zwischen lebendigen Stämmen 87 von Winden aus Nordosten angehäuft, dann auftaut und versickert in sich selbst beim ersten Anhauch aus durchsonnter Erde, 90 und wie die Kerze unter Feuer schwindet, so ward mir. Tränenlos und ohne Klage stand ich, bevor der himmlische Gesang 93 in ewiger Sphärenmelodie ertönte; doch als ich in den sanften Dämpfungen der Engel Mitleid fühlte, mehr als wenn 96 sie sagten: Frau, was triffst du ihn so hart? – zerging der Frost, der mir das Herz umringte, in Seufzer und in Tränen und befreite 99 sich aus bedrängter Brust durch Mund und Augen. Sie aber, standhaft auf derselben Seite des Wagens immer noch, richtete nunmehr 102 an jene milden Wesen ihre Worte: »Ihr haltet Wacht im ewigen Tageslicht, euch kann durch Nacht und Schlaf kein Schritt entgehn, 105 den Sterbliche auf ihren Straßen tun, drum faß ich sorglich meine Antwort so, daß dort der Weinende mich auch verstehe, 108 und seiner Schuld entsprechend sei sein Schmerz.

9 Non pur per @vra de le rAte magne, 1 2 4 8 che drizzan ciascun sBmeCad alcun fine 2 5 6 9 111 secDndo che le stElle sFn compagne, 2 6 8 ma per larghGzza di grazie divine, 4 7 che sìHalti vapIriJhannoKa lLr piMva, (2) 3 6 7 9 114 che nNstre viste là non van vicine, 2 4 6 8 quOsti fu tal ne la sua vita nPva 1 4 (6) (8) virtüalmQnte, ch’RgneSabito dTstro 4 6 7 117 fattoUaverVbbeWin lui mirabil prXva. 1 4 6 8 Ma tanto più malignoYe più silvZstro 2 4 6 8 si fa ’l terr[n col mal s\me]e non cólto, (2) 4 (6) 7 (9) 120 quant’ ^lli_ha più di bu`n vigar terrbstro. 2 4 6 8 Alcun tcmpodil sostenni col mio vflto: (2) 3 6 (9) mostrando lighcchi giovanittija lui, 2 4 8 123 mkcolil menavamin dritta parte vòlto. 1 4 6 8 Sì tnsto comepin su la sqglia fui 1 2 (4 6) 8 di mia secrndasetadete mutai vita, 2 4 6 9 126 quusti si tvlsewa me,xe diyssizaltrui. 1 4 6 8 Quando di carne{a spirto|}ra salita, 1 4 6 (7) e bell~zzae virtù cresciuta m’€ra, 3 6 8 129 fu’io‚a lui mƒn cara„e m n gradita; (2) 4 5 6 8 e v†lse‡i passi suˆi per via non v‰ra, 2 4 6 8 (9) imŠgini di b‹n seguŒndo false, 2 6 8 132 che nulla promessin rŽndonointra. 2 6 7 Né l’impetrare‘ispirazi’n mi valse, 1 4 8 con le quali“e”in s•gno–e—altrim˜nti 3 6 135 lo rivocai: sì p™coša lui ne calse! 4 5 6 8

10 Nicht nur durch Einfluß aus den hohen Sphären, die jedem Samen seine Richtung geben 111 je nach dem Stande und Geleit der Sterne, nein, auch durch Fülle göttlicher Begnadigung, die niederregnet aus den höchsten Schichten, 114 für unsre Blicke unerreichbar fern, ward dieser so in seinem jungen Leben veranlagt, daß ihm jede Fähigkeit 117 zu schönster Meisterschaft gedeihen konnte. Doch um so tückischer und wilder wird das Erdreich durch die böse Narrensaat, 120 je kräftiger in ihm die Fruchtbarkeit. Noch hielt ich anfangs ihn durch meinen Blick aus jungen Augen und bestärkte ihn 123 auf rechtem Pfad, zum Ziele mir zu folgen. Kaum daß ich aus der Jugendzeit hinüber und in das andre Leben trat, verließ 126 er mich und gab sich anderen zu Diensten. Vom Fleisch zum Geiste war ich aufgestiegen, an Schönheit und an Lebenskraft gewachsen, 129 doch ihm jetzt minder lieb und weniger wert. Auf trügerische Wege kam er da, ging falschen Bildern eines nie erfüllten, 132 zur Lockung nur versprochnen Glückes nach. Umsonst, daß ich Erleuchtung ihm erflehte, sie ihm durch Träume oder sonstwie schickte, 135 zur Umkehr mahnend, doch er achtet's kaum.

11 Tanto giù cadde, che tutti›argomœnti 1 3 4 7 a la salute suažran già cŸrti, 4 6 7 9 138 fu r che mostrarli le perdute g¡nti. 1 4 8 Per qu¢sto vi£itai l’uscio d’i m¤rti, 2 6 7 e¥a colui che l’ha qua sù cond¦tto, 4 (6) 8 141 li pr§ghi mi¨i, piang©ndo, furon pªrti. 2 4 6 (8) Alto fato di Dio sar«bbe r¬tto, 1 3 6 8 se Letè si passasse e tal vivanda 3 6 8 144 f®sse gustata sanza¯alcuno sc°tto 1 4 6 8 di pentim±nto che lagrime spanda». 4 7

12 Und fiel so tief, daß alle Warnungen zu seiner Rettung unzulänglich waren, 138 und die Verdammten man ihm zeigen mußte. Deshalb ging ich zum Tor des Totenreiches, und jenem, der ihn hier heraufgeführt, 141 hat weinend meine Bitte sich genaht. – Durchlöchert wäre Gottes hohe Satzung, wenn einer durch die Lethe schritte und 144 sich daran labte, ohne erst zur Zeche die Tränen seiner Reue zu vergießen.«

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