Purgatorio – Canto 18

2 Ans Ende seiner Darlegung gekommen, sah mich der hohe Lehrer forschend an, 3 ob ihm Befriedigung mein Antlitz zeigte. Und ich, vom immer neuen Durst geplagt, sprach in der Stille zu mir selbst: vielleicht 6 belästigt ihn mein allzu vieles Fragen. Indes, der väterliche Wahrheitsfreund bemerkte den verhaltnen Wunsch in mir 9 und löste sprechend meine Schüchternheit. Da sagt ich: »Meister, mein Verstand belebt sich an deinem Licht, drum seh ich alles klar, 12 was mir dein Wort beschreibt und nahebringt. Ich bitt dich also, lieber guter Vater, daß du die Liebe mir begreiflich machest 15 als Quelle allen guten Werks und bösen.« »So richte denn«, sprach er, »auf mich die Schärfe des geistigen Augs, dann wird dir offenkundig 18 der Irrweg, den uns blinde Führer weisen. Unser Gemüt, geschaffen für die Liebe, bewegt sich rasch und leicht nach jedem Ding, 21 sobald den Antrieb das Gefallen gibt. Aus Wirklichkeit zieht eures Geistes Kraft das Lockbild und entfaltet es in euch, 24 daß sehnend das Gemüt sich danach wendet, und wenn es ganz zu ihm gebeugt sich neigt, ist dieses Neigen Liebe, ist Natur, 27 die lustvoll sich von neuem euch verbindet.

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