Paradiso – Canto 19

6 sich so viel Kraft gewinnen, daß es weit jenseits des Reiches der Erscheinungen 57 sein eigenes Prinzip noch unterscheide. Das kleine Licht, das eurer Erde ward, forscht in der ewigen Gerechtigkeit 60 so wie ein menschlich Aug im Wasser forscht. Am Strand erkennt es noch den Untergrund, auf hohem Meer nicht, und dennoch liegt er 63 dort unten, seine Tiefe nur verbirgt ihn. Es gibt kein Licht, das nicht von oben käme aus ewiger Klarheit; aber Finsternis 66 ist alles andre, Fleisches Gift und Schatten. Jetzt ist der Winkel dir genug geöffnet, wo die Gerechtigkeit sich dir verbarg, 69 an der auch du den alten Zweifel hegtest, indem du sprachst: ›Es wird ein Mensch geboren am Indus-Ufer, und kein Meister ist, 72 der dort von Christo spräche, läse, schriebe. Doch all des Menschen Tat und Wille läuft nach menschlichen Begriffen gut und rein. 75 In Wort und Wandel bleibt er sonder Sünde. Nun stirbt er ungetauft und ohne Glauben. – Wo, frag ich, ist der Richter, der ihn schuldig, 78 und wo die Schuld, wenn er nicht glauben kann?‹ – Wer bist du, daß du dich zu richten setzest auf tausend Meilen Ferne, wo dein Auge 81 nicht weiter reicht als eine Fingerspanne?

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