Inferno – Canto 20

La Divina Commedia Inferno Canto XX Das Lied der Magier und Wahrsager Zeit: Sonntag, 26. März 1301 (Samstag, 9. April 1300): gegen sechs Uhr morgens; bei Sonnenaufgang Ort: Kreis VIII (Malebolge): Betrüger Graben IV: Magier und Wahrsager Personen: Dante, Virgilio, Tiresia, Anfiarao, Arunte, Manto, Euripilo, Michele Scotto, Guido Bonatti, Asdente, einige Zauberinnen und Wahrsagerinnen © 2021 Dr. M. Junker: Fonetik, Metrik & Akzente farbig, geschützt d. Namirial SpA © 1994 Le Lettere: Kritische Textausgabe der Divina Commedia (Giorgio Petrocchi) Deutsch von Karl Vossler: 1942/1945 (Atlantis)/1960 (Bertelsmann Lesering)

1 Di n va p na mi conv n far v rsi 2 4 8 e dar mat ra al vent imo canto 2 4 7 3 de la prima canz n, ch’è d’i somm rsi. 3 6 7 Io ra già disp sto tutto quanto (1/2) 6 8 a riguardar ne lo scop rto f ndo, 4 8 6 che si bagnava d’angosci o pianto; 4 8 e vidi g nte per lo vall n t ndo 2 4 9 venir, tac ndo e lagrimando, al passo 2 4 8 9 che fanno le letane in qu sto m ndo. 2 6 (8) C me ’l vi o mi sc e in l r più basso, 1 3 6 8 mirabilm!nte"apparve#$sser trav%lto 4 6 7 12 ciascun tra ’l m&nto'e ’l principio del casso, 2 4 7 ché da le r(ni)*ra tornato ’l v+lto, 4 (5) 8 e,in di-tro venir li convenia, 3 6 15 perché ’l ved.r dinanzi/0ra l1r t2lto. 2 4 6 (7) 9 F3rse per f4rza già di parla5ia 1 4 6 si trav6lse co7ì8alcun del tutto; 3 6 8 18 ma9io nol vidi, né cr:do che sia. 2 4 7 Se Dio ti lasci, lett;r, pr<nder frutto 2 4 7 8 di tua lezi=ne,>?r p@nsa per te stAsso 4 5 6 (9) 21 cBm’ io potCa tenDr lo viEoFasciutto, 2 4 6 8 quando la nGstraHimagine di prIsso 1 4 6 vidi sì tJrta, che ’l pianto de liKLcchi 1 3 4 7 24 le nMtiche bagnava per lo fNsso. 2 6 COrtoPio piangQa, poggiatoRaSun de’ rTcchi 1 4 6 8 del duro scUglio, sì che la mia scVrta 2 4 6 (9) 27 mi disse:W«AncXr sY’ tu de liZaltri sci[cchi? 2 4 6 8

2 Von neuer Qual muß jetzt mein Lied berichten und Stoff dem zwanzigsten Gesang bereiten 3 in diesem ersten unterirdschen Teil. Schon war ich aufmerksam und ganz gespannt, hinabzuspähen in den offnen Grund, 6 von angstgepreßten Tränen rings gefeuchtet, und Menschen sah ich kommen still und weinend, langsamen Schrittes durchs gebogne Tal, 9 wie man auf unsrer Welt im Bittgang schreitet. Als dann mein Blick an ihnen niederglitt, welch staunliche Verrenkung zeigt sich da 12 bei jedem zwischen Kinn und Schlüsselbein. Das Antlitz war dem Rücken zugewendet, und rückwärts mußten sie die Füße regen; 15 den Blick nach vorne hatten sie nicht mehr. Mag sein, daß dann und wann durch Lähmung schon ein Kranker sich so ganz und gar verrenkte – 18 ich hab es nie gesehn, noch kann ich’s glauben. So dir mit Gottes Hilfe, was du liesest, zum Heil gedeihen soll, bedenke, Leser, 21 wie ich mit trocknen Augen nah, so nah das so verkehrte Menschenangesicht hätte betrachten können, da die Tränen 24 den Sündern übers Rückgrat niedertropften. Ich weinte, angelehnt an einen Stein der Felsenbrücke, derart, daß mein Führer 27 mir sagte: »Willst so unvernünftig bleiben?

3 Qui vive la pietà quand’ è b\n m]rta; (1) 2 6 8 chi^è più scellerato che colui 2 6 30 che_al giudicio divin passi`n comparta? 3 6 8 Drizza la tbsta, drizza,ce vddiea cui 1 4 6 8 s’apfrsega lihicchi d’i Tebjn la tkrra; 2 4 8 33 per ch’li gridavan tutti: “Dmve rui, 2 4 6 8 Anfïarno? perché lasci la guorra?”. 4 (6) 7 E non restò di rupinareqa valle 4 8 36 finora Minòs che ciaschedunosafftrra. 1 4 8 Mira c’ha fatto putto de le spalle; 1 4 6 perché vvlse vedwr trxppo davante, 2 3 6 7 39 di rytro guardaze fa retr{|o calle. (2) 4 6 8 V}di Tir~ia, che mutò sembiante 1 4 8 quando di maschio f€mmina divnne, (1) 4 6 42 cangiandosi le m‚mbra tutte quante; 2 6 8 e prima, pƒi, ribatter li conv„nne 2 4 6 li duo serp nti†avv‡lti, con la vˆrga, 2 4 6 45 che rïav‰sse le maschili pŠnne. 4 8 Ar‹ntaŒè qul ch’al vŽntre li s’attrga, 2 4 6 che n’ m‘nti di Luni, d’ve r“nca 3 6 48 lo Carrar”•e che di s–tto—alb˜rga, 4 (8) ™bbe tra ’ bianchi marmi la spelšnca 1 4 6 per sua dim›ra;œndeža guardar le stŸlle 4 5 8 51 e ’l mar non li ¡ra la veduta tr¢nca. 2 4 (8) E qu£lla che ricu¤pre le mamm¥lle, 2 6 che tu non v¦di, con le tr§cce sci¨lte, 2 4 8 54 e©ha di lફgne pil¬a p®lle, 2 4 5/8

4 Nur wenn sie ganz verstummt, spricht hier die Liebe. Gibt’s denn ein größeres Vergehn, als gegen 30 das Urteil Gottes menschliche Gefühle? Erheb dein Haupt und schau den Mann dir an, den zu verschlingen sich die Erde auftat 33 vor Thebens Mauern, so daß alle riefen: ›Wohin so jäh, Amphiaraus, fliehst du?‹ Und unaufhaltsam stürzte er hinab, 36 bis er vor Minos, unvermeidlich, stand. Schau wie der Rücken ihm zur Brust ist worden; dieweil er gar zu weit voraussehn wollte, 39 muß er zurück mit Aug und Füßen streben. Sieh den Tiresias, der sich wandelte von männlicher in weibliche Gestalt 42 mit völliger Verändrung aller Glieder, worauf er die verschlungnen Schlangen dann mit seinem Stock noch einmal schlagen mußte, 45 um wieder ein behaarter Mann zu werden. Der mit dem Rücken auf dem Bauch ihm folgt, ist Aruns, im Gebirg von Luni, wo 48 der Bauer von Carrara sich das Holz holt, in weißer Marmorhöhle wohnte er hoch oben, wo den Aufblick zu den Sternen 51 und nach dem Meer hinab ihm nichts verwehrte. Die Dirn, die sich mit aufgelösten Zöpfen aus ihrem Haupthaar auf der andern Seite 54 die Brüste deckt, die du nicht sehen kannst,

5 Manto fu, che cercò per t¯rre m°lte; 1 3 6 8 p±scia si pu²³e là d´ve nacqu’ io; 1 4.6 7 57 ondeµun p¶co mi piace che m’asc·lte. 1 3 6 P¸scia che ’l padre suo di vita¹uscìo 1 (4) 6 8 e vºnne serva la città di Baco, (2) 4 8 60 qu»sta gran t¼mpo per lo m½ndo gio. 1 3 4 8 Su¾o¿in Italia bÀlla giaceÁun laco, 1 4 6 8 a piè de l’Alpe che sÂrra Lamagna 2 4 7 63 sÃvra Tiralli, c’ha nÄme Benaco. 1 4 7 Per mille fÅnti, crÆdo,Çe più si bagna 2 4 6 8 tra GardaÈe Val CamÉnicaÊe Pennino 2 4 6 66 de l’acqua che nel dËtto laco stagna. 2 6 8 LÌcoÍè nel mÎÏÐo là dÑve ’l trentino 1 4 6 (7) pastÒreÓe quÔl di BrÕsciaÖe ’l veronרe 2 4 6 69 segnar porÙa, s’Ú’ fÛsse quÜl cammino. 2 4 6 SiÝde PeschiÞra, bßlloàe fárteâarnãäe 1 4 6 8 da fronteggiar Bresciåniæe Bergamaschi, 4 6 72 çve la riva ’ntèrno più discéêe. 1 4 6 8 Ivi conviën che tutto quanto caschi 1 4 (6) 8 ciò che ’n grìmboía Benîco star non può, 1 3 6 8 75 e fassi fiume giù per vïrdi paschi. (2) 4 6 8 Tðsto che l’acquaña còrrer mótte cô, (1) 4 6 8 non più Benõco, ma Möncio si chiama (2) 4 7 78 fino÷a Govørnol, dùve cadeúin Pû. 1 4 6 8 Non mültoýha cþrso, ch’ l tr va una lama, 2 4 7 ne la qual si dist nde e la ’mpaluda; 3 6 81 e su l di state tal r sser grama. 2 4 7 (8)

6 war Manto einst, die lange wanderte, und dann sich niederließ in meiner Heimat, 57 davon ich gern dir einiges erzähle. Nachdem ihr Vater hingegangen war und Bacchus’ freie Stadt in Knechtschaft fiel, 60 durchzog sie manches Jahr die weite Welt. Im schönen Land Italia liegt ein See, Benaco, an dem Abhang jener Berge, 63 die bei Tirol die deutsche Mark umschließen. Es rieseln mehr als tausend Quellen wohl von Val Camónica bis Garda nieder 66 am Bergeshang und stauen sich im See. Auf seines Spiegels Mitte könnten sich die Seelenhirten von Trient, Verona 69 und Brescia segnen, wenn des Wegs sie kämen. Peschiera liegt, das schöne starke Werk, zum Trutze gegen Bergamo und Brescia, 72 am tiefsten Punkt des Ufers, wo die Wasser aus übervollem Becken des Benaco durch grünes Weideland abfließen müssen; 75 und alsbald wandelt sich der See zum Fluß. Sobald das stille Wasser plötzlich läuft, heißt es Benaco nicht mehr, sondern Mincio, 78 bis nach Governo, wo der Po es aufnimmt. Nach kurzem Lauf gerät’s in eine Senke, breitet sich aus darin und wird zum Sumpf 81 und oft zur Plage für das Land im Sommer.

7 Quindi passando la v rgine cruda 1 4 7 vide t rra, nel m o del pantano, 1 3 6 84 sanza coltura e d’abitanti nuda. 1 4 8 Lì, per fuggire gne cons rzio umano, 1 4 5 8 rist tte con su i s rvi a far sue arti, 2 6 8 87 e visse, e vi lasciò suo c rpo vano. 2 6 8 Li u mini p i che ’nt rno rano sparti 1 4 6 (7) s’acc lsero!a qu"l l#co, ch’$ra f%rte 2 6 90 per lo pantan ch’av&a da tutte parti. 4 6 8 F'r la città s(vra qu)ll’ *ssa m+rte; 1 4 5 8 e per col,i che ’l l-co prima.el/sse, 4 6 8 93 Mantüa l’appellar sanz’ altra s0rte. 1 6 8 Già fu1r le g2nti sue d3ntro più sp4sse, 1 2 4 6 7 prima che la mattia da Ca5al6di 1 6 96 da Pinam7nte8inganno ricev9sse. 4 6 Però t’ass:nno che, se tu mai;<di (2) 4 6 (8) 9 originar la mia t=rra>altrim?nti, 4 7 99 la verità nulla menz@gna frAdi». 4 5 8 EBio: «MaCDstro,Ei tuFi ragionamGnti 2 4 6 mi sHn sì cIrtiJe prKndon sì mia fLde, 2 4 6 8 102 che liMaltri mi sarNen carbOni spPnti. 2 6 8 Ma dimmi, de la gQnte che procRde, 2 6 se tu ne vSdiTalcun dUgno di nVta; (2) 4 6 7 105 ché sWloXa ciò la mia mYnte rifiZde». 2 4 7 All[r mi disse: «Qu\l che da la g]ta 2 4 6 p^rge la barba_in su le spalle brune, 1 4 8 108 fu – quando Gr`cia fu di maschi vòta, 1 2 4 6 8

8 Als dort vorbei die wilde Jungfrau kam, erblickte sie im Sumpfe festes Land, 84 ein ödes, unbebautes, unbewohntes, und blieb, die menschliche Gemeinschaft scheuend, mit ihren Dienern dort und lebte so 87 in ihren Künsten und entschwand dem Leibe. Dann sammelten die rings zerstreuten Menschen an diesem Platze sich, denn er war gut 90 durch Sumpfgelände allerseits gesichert. Sie bauten ihre Stadt auf Mantos Grab und tauften ohne weitern Zauber sie 93 nach ihr, die diesen Platz zuerst erwählte. Gar viele Leute wohnten damals dort, bevor der unbedachte Casalodi 96 durch Pinamontes Arglist ward genarrt. So laß es dir gesagt sein, und wenn je du anders die Geschichte meiner Stadt 99 erzählen hörst, entlarve jede Fälschung.« Ich gab zur Antwort: »Meister, deine Lehre ist mir so sicher, gilt mir so gewiß, 102 daß mich, was andre sagen, nicht erwärmt. Doch wenn du in dem Zug der Sünder hier noch einen Nennenswerten siehst, so zeige 105 ihn mir, denn darauf ist mein Sinn gespannt.« Drauf er zu mir: »Der Bärtige, dem die Strähnen von seinen Wangen auf die Schultern fließen, 108 war damals, als von Griechenland die Männer

9 sì ch’a pana rimaber per le cune – (1) 3 6 cugure,de diede ’l punto con Calcanta 1 4 6 111 in fulidega tagliar la prima fune. 2 6 8 Eurhpiloijbbe nkme,le comì ’l canta 2 4 6 9 l’alta mia tragedìanin alcun loco: 1 (3) 6 9 114 bpn lo sai tu che la sai tutta quanta. 1 (3) 4 7 8 Quqll’ altro che nr’ fianchisè cotì puco, 2 6 9 Michvle Scwtto fu, che veramxnte 2 4 6 117 de le magiche fryde szppe ’l gi{co. 3 6 8 V|di Gu}do Bonatti; v~diA€dnte, 1 3 6 (8) ch’av‚reƒint„ o†al cu‡ˆio‰eŠa lo spago 2 4 6 120 ‹ra vorrŒbbe, ma tardi si pnte. (1) 4 7 VŽdi le triste che lasciaron l’ago, 1 4 8 la spulae ’l fu‘o,’e f“cersi ’ndivine; 2 4 6 123 f”cer mal•e con –rbe—e con imago. 1 4 6 Ma vi˜nne™omai, ché già tišne ’l confine 2 4 6 7 d’amendue li›emispœrie tžcca l’Ÿnda 3 6 8 126 s tto Sobilia Ca¡ino¢e le spine; 1 4 7 e già£iern¤tte fu la luna t¥nda: 2 4 (6) 8 b¦n t§n d¨’ ricordar, ché non ti n©cque 1 3 6 (8) 129 alcuna vªlta per la s«lva f¬nda». 2 4 8 Sì mi parlava, e®andavamo¯intr°cque. (1) 4 8

10 fast alle bis zum Säugling ausmarschierten, ein Augur, der mit Kalchas für das Glück 111 der Abfahrtstunde Zeichen gab in Aulis. Er hieß Eurypylos, und so besingt ihn mein hohes Heldenlied an einer Stelle, 114 – du kennst sie gut, da du das Ganze kennst. Der andre dort, so schmächtig an den Hüften, war Michael der Schotte, der wahrhaftig 117 sich auf das Spiel des Zaubertrugs verstand. Schau dort Guido Bonatti und Asdente, der jetzt so gern – doch spät kommt ihm die Reue – 120 bei seinem Leisten hätte bleiben wollen. Und schau das Weibervolk, das, statt zu Nadel und Spul und Spindel, zu der Zukunft griff 123 und Hexentränke, Zauberbilder machte. Doch vorwärts! Kain mit dem Dornenbündel hat schon die Grenze beider Hemisphären 126 erreicht und taucht ins Meer jenseits Sevilla mit seinem Mond, seit gestern nacht gerundet. Du weißt wohl noch, wie er nicht ungelegen 129 im tiefen Walde manchmal dir erschien.« So sprach Vergil, indes wir weitergingen.

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